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WW II. / 1939 - 1945
Schweiz
Der Zweite Weltkrieg in der Schweiz
Geschichte
Schweiz im Zweiten Weltkrieg
Die Schweiz wurde während des Zweiten Weltkrieges nicht durch eine Invasion in Mitleidenschaft gezogen. Wirtschaft, Gesellschaft und Zeitgeschehen waren jedoch stark vom Krieg betroffen, insbesondere dadurch, dass die Schweiz zeitweise vollständig von den Achsenmächten umschlossen war. Die Regierung (und Armeeführung) versuchte die Neutralität und Souveränität zu wahren, ohne eine der Kriegsparteien zu brüskieren. Man begann mit dem Bau des Schweizer Reduit. Nach Kriegsende beschuldigten die Siegermächte die Schweiz der Kooperation mit den Nationalsozialisten, denn unter anderem wurden rund 75 % der seitens Deutschlands für Einkäufe im neutralen Ausland erforderlichen Devisen durch Goldtransaktionen der Reichsbank über das Schweizer Bankensystem abgewickelt.
Vorgeschichte
Nach der Gründung der Heimatwehr 1925 in Zürich bildete sich zu Beginn der 1930er-Jahre die Frontenbewegung mit der Nationalen Front an der Spitze. Diese gewann unmittelbar nach der Machtergreifung Hitlers 1933 im Frontenfrühling an Einfluss und erzielte im Herbst dieses Jahres bei Kantonsratswahlen in Zürich und Schaffhausen Stimmengewinne von 10 % respektive 27 %. Insgesamt blieb die Frontenbewegung nur eine Randerscheinung.[2] So erhielten die Fronten im Nationalrat in der Legislaturperiode 1935–1939 nur ein einziges Mandat. Die faschistisch-nationalsozialistische Bedrohung führte die Sozialdemokratische Partei (SPS) trotzdem dazu, ihre Oppositionsrolle aufzugeben und die Landesverteidigung und die Demokratie in einem neuen Parteiprogramm anzuerkennen. Die bedingungslose Anerkennung der Legitimität der Landesverteidigung folgte im Januar 1937 durch den Beitritt der SPS zur Richtlinienbewegung.[3]
Am 23. Februar 1937 gab Hitler in Berlin dem Schweizer Alt-Bundesrat Edmund Schulthess das Versprechen, keinen Angriff gegen die Eidgenossenschaft durchzuführen.[4]
Nach dem Anschluss Österreichs an Deutschland kehrte die Schweiz von der differenzierten zurück zur integralen Neutralität, d. h. dass sie von nun an nicht nur an militärischen, sondern auch an wirtschaftlichen Sanktionen des Völkerbundes nicht mehr teilnahm. Unter dem Eindruck der deutschen Expansion bekräftigten Schweizer Politiker, Gelehrte und Militärs den geistigen und militärischen Widerstands- und Selbstbehauptungswillen der Schweiz. Bundesrat Hermann Obrecht verkündete: «Wer unsere Unabhängigkeit […] angreifen sollte, dem wartet der Krieg! Wir Schweizer werden nicht zuerst ins Ausland wallfahrten gehen.» Die «Geistige Landesverteidigung» wurde zu einem prägenden Element für das Schweizer Kultur- und Geistesleben bis weit in die Nachkriegszeit.
Nach der Einführung der Nürnberger Rassengesetze in Deutschland verstärkte sich die Auswanderung und Flucht deutscher Juden in die Schweiz. Da die Konferenz von Évian im Juli 1938 keine Lösung für das Problem fand, wollten die Schweizer Behörden dem Zustrom mit der Wiedereinführung der Visumspflicht mit Deutschland begegnen. Dagegen wehrte sich die deutsche Regierung, da diese Massnahme auch für nichtjüdische Reisende gelten sollte. Die weit verbreitete Meinung, Polizeichef Heinrich Rothmund, Chef der Fremdenpolizei, habe die Kennzeichnung mit einem «J» vorgeschlagen, ist aber nach neusten Forschungen lediglich teilweise richtig.[5] Er schlug im August 1938 einen Sichtvermerk für alle Emigranten vor. Das deutsche Auswärtige Amt lehnte dies ab und forderte stattdessen, die Pässe aller deutschen und schweizerischen Juden mit einem J-Stempel zu stempeln. Rothmund selbst wiederum meldete Bedenken an. Der Bundesrat stimmte am 4. Oktober 1938 schliesslich einer Vereinbarung mit Deutschland zu, nach der die Pässe deutscher Juden mit dem J-Stempel zu versehen seien. Die Forderung nach J-Stempeln in Pässen von Schweizer Juden wurde fallengelassen.[6]
Ferner war die Schweiz auf der Konferenz von Évian 1938 für die dauerhafte Aufnahme eines bestimmten Kontingents von Flüchtlingen nicht bereit und bestand darauf, einzig ein Transitland zu bleiben, weshalb nur Emigranten in die Schweiz einreisen durften, die glaubhaft machen konnten, baldmöglichst weiterreisen zu können.[7]
Die Schweiz während des Zweiten Weltkrieges
Allgemein
Vor allem in der Deutschschweiz gab es Minderheiten, welche die Ideen der Nationalsozialisten unterstützten. Sie waren unter dem Namen Frontisten organisiert und stellten zeitweise Stadtparlamentarier in Zürich und Kantonsparlamentarier u. a. in Schaffhausen. Ihr Wappen war ein Schweizerkreuz mit einem bis an den Rand gehenden weissen Balken. Ohne sich ausdrücklich als Nazis oder Frontisten auszugeben, waren aber auch gewisse Exponenten der gesellschaftlichen Elite vom neuen deutschen Gedankengut beeinflusst. Eine permanente Herausforderung stellte zudem die «Fünfte Kolonne», die Gruppe der Nazi-Deutschen in der Schweiz, dar, deren Exponent Wilhelm Gustloff, der Leiter der Auslandsorganisation der NSDAP, war, bis er einem tödlichen Attentat in Davos, ausgeführt durch David Frankfurter, zum Opfer fiel.
Die Schweiz berief sich während des Zweiten Weltkrieges auf ihre bewaffnete Neutralität und ordnete die allgemeine Mobilmachung am 2. September 1939 an. Am 29. August wurden vorgängig schon die Grenztruppen aufgeboten.
Im Jahr 1941 soll Hitler von der Schweiz einen Kredit von einer Milliarde Schweizer Franken für den Russland-Feldzug erhalten haben.[4]
Im Norden, Osten sowie im Süden von den Achsenmächten umgeben, versuchte man mit Rationierung und systematischer Nutzung von u. a. Grünflächen, wie Fussballplätzen (Plan Wahlen), der Lebensmittelknappheit zu begegnen.
Innenpolitische Lage
Bei Kriegsausbruch hoffte man noch auf ein baldiges Kriegsende. Im Mai 1940 überstürzten sich die Ereignisse, die Situation wurde bedrohlicher, und die Bevölkerung ängstigte sich mit andauerndem Verlauf des Krieges mehr und mehr, insbesondere aus folgenden Gründen:
Es kam zu Sabotageakten und Truppenaufmärschen an der Schweizer Grenze. Erst im Nachhinein wurde bekannt, dass diese inszenierten Aufmärsche Teil einer grossangelegten Täuschung in Vorbereitung des Westfeldzuges (? Die Schweiz während des Westfeldzuges) der deutschen Wehrmacht waren. Statt der tatsächlich am Oberrhein liegenden schwachen deutschen Sicherungskräfte wurden hier mit grossem Aufwand starke Offensivkräfte und die Absicht der Umgehung der Maginot-Linie über Schweizer Gebiet vorgetäuscht, um französische Kräfte in grossem Umfang zu binden. Ihren Höhepunkt erreichte diese Massnahme während des Feldzuges Mitte Mai, zeitlich abgestimmt mit deutschen Erfolgen im wahren Angriffsschwerpunkt bei Sedan, mit der Ankündigung des Reichspropagandaministers Joseph Goebbels, «dass es binnen zweimal 24 Stunden in Europa keine neutralen Staaten mehr geben» werde, sowie scheinbaren Indiskretionen deutscher Diplomaten über Angriffsabsichten.
Deutsche Armeen überrannten neutrale Länder wie die Niederlande, Belgien und Luxemburg innerhalb weniger Tage. Die Schweizer befürchteten daher einen Einmarsch der kriegführenden Staaten.
Die französische Armee, die als sehr stark galt, wurde durch den deutschen Blitzkrieg innerhalb eines Monats überrollt.
Die umstrittene Radioansprache vom 25. Juni 1940 des damaligen Bundespräsidenten Marcel Pilet-Golaz wurde von vielen als voreilige Anpassung oder gar Unterwerfung gegenüber Deutschland gedeutet.
Die demokratische Struktur des Landes blieb im Grundsatz während des Krieges erhalten. Bereits 1935 waren rechtsradikale Bestrebungen in Form der Fronten-Initiative, die das politische System teils deutschen Gegebenheiten anpassen wollten, in der Volksabstimmung deutlich gescheitert.
Während des Krieges schränkte das sogenannte Vollmachtenregime des Bundesrates die Rechte sowohl des Volkes wie des Parlamentes teilweise ein. Freie Wahlen blieben jedoch erhalten, und es gelangten sogar drei Volksinitiativen aus der Bevölkerung zur Abstimmung durch das Volk – auch die traditionelle direkte Demokratie verschwand nicht völlig aus dem politischen Erscheinungsbild.
Todesstrafen
Die Schweiz schaffte im Gegensatz zu allen anderen Staaten mitten im Krieg die zivile Todesstrafe ab; sie wurde letztmals am 18. Oktober 1940 an Hans Vollenweider vollstreckt.[8]
Allerdings häuften sich die Fälle von Landesverrat. Insgesamt verzeichnete man 468 entdeckte Fälle während der Kriegsjahre. Es kam zu 33 Todesurteilen durch die Militärjustiz, wovon elf Verurteilte Ausländer waren. Fünfzehn Todesurteile wurden in Abwesenheit der Angeklagten verhängt. Bei den siebzehn Hingerichteten handelte es sich ausser bei einem Liechtensteiner ausschliesslich um Deutschschweizer. Unter den Exekutierten waren ein Major (Hans Pfister), zwei Subalternoffiziere sowie drei Fouriere.[9]
Die Hinrichtungen wegen Landesverrats wurden Jahrzehnte später von Niklaus Meienberg im Buch und später im Film Die Erschiessung des Landesverräters Ernst S. am Beispiel des 1942 hingerichteten Ernst Schrämli thematisiert. Meienbergs Arbeit ist dabei weniger als neutrale Reportage denn als klassenkämpferische Interpretation des Falles Schrämli zu sehen.[10][11] Später nahmen sich auch die Historiker Peter Noll[9] und Walter Schaufelberger[12] sowie der Journalist Karl Lüönd[13] des Themas an.
Hochverrat reichte als Tatbestand nicht aus, um die Todesstrafe zu verhängen. So kamen viele, die mit den Nationalsozialisten paktierten, mit teilweise milden Strafen davon. Schweizer, die in der Waffen-SS kämpften, wurden nur wegen «fremder Dienste» angeklagt.
Der Westschweizer Theologiestudent Maurice Bavaud hatte versucht, Hitler zu töten, und wurde dafür durch das NS-Regime hingerichtet. Die punktuelle Pressezensur in der Schweiz sorgte allerdings dafür, dass in den Medien darüber sehr diskret berichtet wurde. Seit 2011 gibt es in der Nähe seines früheren Wohnortes Neuchâtel, in Hauterive NE, eine Gedenkstele für Bavaud.
Anrainerstaaten der Schweiz
Deutschland befand sich ab 1. September 1939, dem Beginn des Polenfeldzuges, im Krieg. Die Kriegsziele Hitlers gegenüber der Schweiz lassen sich einer Quellenanalyse von Jürg Fink entnehmen.[14] Eine der Quellen mit Hitler-Aussagen beweist indirekt die relative Wichtigkeit der Schweizer Rüstungslieferungen an das Reich: «Ich bin entschlossen, wenn notwendig halb Europa für unsere Rüstung einzusetzen.» Unter anderem oder vor allem deshalb sollte die Schweiz wohl bis nach dem erhofften Sieg im Ostfeldzug verschont bleiben. Der Sprachduktus für die Zeit danach stammte von Goebbels: «… Aus alldem hat der Führer die Konsequenz gezogen, dass das heute noch in Europa vorhandene Kleinstaatengerümpel so schnell wie möglich liquidiert werden muss.»
Frankreich erklärte Deutschland am 3. September 1939 den Krieg. Nach dem deutschen Angriff im Mai 1940 kapitulierte es nach einem Monat. Der kurze gemeinsame Grenzabschnitt mit Vichy-Frankreich war der einzige Teil der Grenze, der nach 1940 nicht von den Achsenmächten kontrolliert wurde. Sie war für den Schmuggel von Gütern, z. B. nach Grossbritannien, bedeutend.
Österreich ab 12. März 1938 an Deutschland «angeschlossen»
Italien ab 1922 faschistisch (Mussolini), 1940 Bündnis mit Deutschland
Liechtenstein blieb wie die Schweiz neutral und unversehrt (grenzt selber nur an Österreich und die Schweiz)
Die Armee
Ab 1937 wurden in der Schweiz ein Netz von Kampfbauten errichtet. Es wurde durch Wehranleihen finanziert. Die Verteidigungslinien waren gestaffelt in das Reduit in den Alpen, Schutz des Mittellandes durch die Limmatlinie und die erste Wehrlinie der Grenzbefestigungen.[15]
Schon im Herbst 1938 fand eine erste Verdunkelungsübung statt und es gab Merkblätter zum Luftschutz.[16]
General und Oberbefehlshaber der Schweizer Armee wurde am 30. August 1939 durch Parlamentsbeschluss Henri Guisan (1874–1960), zuvor Kommandant eines Armeekorps.
September 1939[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Nach der Mobilmachung am 2. September 1939 rückten etwa 450'000 Soldaten zum Aktivdienst ein. Ausserdem wurden ca. 10'000 Frauen zum sogenannten militärischen Frauenhilfsdienst (FHD) eingezogen.
Bei der ersten Mobilmachung verfügte der Armeestab nicht über Operationspläne. Der General musste zunächst die bestehenden Befestigungsanlagen berücksichtigen, die weder über einheitliche Grundausstattung noch ein einheitliches System verfügten. Die Festungen von Sargans, Gotthard und die Festung Scex bei St-Maurice bildeten das Erbe früherer, aber noch immer gültiger Anschauungen der Verteidigung.
Vielerorts fehlte es an Waffen, Munition und Ausrüstung. Besonders prekär war die Lage bei der Schweizer Luftwaffe. Die 21 Staffeln waren zu einem grossen Teil nur mit veralteten Maschinen ausgerüstet, und fünf Staffeln hatten keine eigenen Flugzeuge. Vor dem Krieg kaufte aber die Armee in letzter Minute in Deutschland noch 80 hochmoderne Messerschmitt-Jäger. In eigenen Fabriken wurden zudem Jagdbomber und Aufklärer sowie französische Morane-Saulnier-Jäger in Lizenzproduktion hergestellt.
Im Heer fehlten sowohl Panzerabwehrmittel als auch weitgehend eigene Kampfpanzer. Die rückständige Motorisierung der Armee 1939 erschwerte Verschiebungen. Eine so statische Armee hätte im Mittelland einem hochgerüsteten Gegner wie der Wehrmacht nur wenig entgegenzusetzen gehabt. Das erkannte auch die Armeeführung angesichts der Blitzkriege in Polen und im Westfeldzug (Belgien, Frankreich und Niederlande).
Die Wehrmachtführung erwog, ob die französische Grenzsicherung (Maginot-Linie) eventuell südlich über die Schweiz zu umgehen sei. Zwischen der Schweiz und Frankreich bestanden bereits vor Kriegsausbruch geheime Abmachungen wie das sogenannte Manöver H, nach welchen mindestens eine französische Division bei einem deutschen Einmarsch in die Schweiz die Lücke zwischen dem befestigten Gempenplateau und der Maginot-Linie schliessen sollte. Zeugen dieses Plans sind die in diesem Raum vorbereiteten Geschützstellungen, welche auch für französische Geschütze geeignet waren.[17] Angriffspläne wie der Plan Operation Tannenbaum entstanden aber erst während und nach dem Einmarsch in Frankreich im Juni 1940. Absicht in diesen Operationsplänen war, das Schweizer Mittelland als Durchgangsachse nach Südfrankreich zu benutzen. Italienische Pläne sahen einen Einmarsch über die Pässe Splügen und Simplon vor. Das deutsche Oberkommando attestierte der Schweizer Armee zwar Kampfwillen, sie sei dem deutschen Heer aber «voll unterlegen».
Dezember 1939
Änderung:
Die 3. Division – bis zu diesem Moment die Armeereserve – wird dem 2. Armeekorps unterstellt. Ihr Einsatz ist neu im Jura zwischen der 5. und 4. Division.
Der General nimmt bewusst ein Risiko in Kauf, indem er sich auf die Nordfront konzentriert. Wegen des Winters hätte man im Notfall auf die Kräfte der Südfront als neue Armeereserve zugreifen können.
Januar 1940
Ab dem 1. Januar wird mit der Aufstellung eines neuen 4. Armeekorps begonnen. Das 3. Armeekorps wird nun seinen Einsatz im Zentrum leisten. Dadurch ist eine Dreiteilung der Armeestellungen möglich.
Übriges 1940
Siehe auch: Die Schweiz während des Westfeldzuges
Im Frühjahr 1940 werden Pläne für das Schweizer Reduit (französisch Réduit national) erstellt. Die Hauptunterschiede bestehen in den mehr oder weniger grossen Umrissen.
Zwei Lösungen stehen zu engeren Auswahl:
Die konsequenteste Lösung, welche die äussersten Schlussfolgerungen der Idee zog, stellte der Plan German dar. Ein Reduit von beschränktem Ausmass, das durch Gebirgstruppen verteidigt werden sollte.
Der Plan Gonard umfasste ein ausgedehnteres System, unter Einschluss der drei befestigten Zonen Sargans, Gotthard und St-Maurice (Gonard war Chef des persönlichen Stabes des Generals und der eigentliche operative Kopf der Schweizer Armee).
Der General und der Generalstabschef mussten entscheiden, bis zu welchem äussersten Grad der Konsequenzen in Bezug auf das Reduit sie unter Umständen gehen mussten. Sie mussten sich aber auch Rechenschaft über die Faktoren der augenblicklichen Lage geben.
Die Anordnungen bauten alsdann auf Überlegungen strategischer und taktischer Natur auf.
Schrittweise in eine Verteidigungsstellung im Zentralraum übergehen, ohne Verzug, die eine Taktik der Verteidigung in der Tiefe befolgte.
«GEHEIM
[…]
V. Ich habe folgenden Entschluss gefasst. Die Verteidigung des Landes wird nach einem neuen Grundsatz organisiert werden, demjenigen der Staffelung in der Tiefe.
[…]
Die Widerstandsstaffeln werden sein:
die Grenztruppen
eine vorgeschobene oder Sicherungsstellung
eine Alpen- oder Zentralraumstellung (réduit national), die im Osten, Westen und Süden durch die einbezogenen Befestigungen von Sargans, St. Maurice und des Gotthard flankiert wird.
[…]
Die diesen drei Widerstandsstaffeln zugewiesenen Aufträge sind die folgenden:
derjenige der Grenztruppen bleibt aufrecht;
die vorgeschobene oder Sicherungsstellung sperrt die Einfallsachsen in das Innere des Landes;
die Truppen der Alpen- oder Zentralraumstellung halten, mit grösstmöglichen Vorräten versehen ohne jeden Gedanken an Rückzug.
[…]
IV. Aber es ist vor allen Dingen wichtig, dass die Bevölkerung auf keinen Fall in der Richtung auf das Réduit zurückströmt, wo sie den Erfolg der Operation in Frage stellen und nicht über genügend Vorräte verfügen würden.»
– Schreiben des Generals an den Bundesrat vom 12. Juli 1940
Die deutsche Propaganda verfehlte ihre Wirkung nicht. Die Berichterstattung von den Blitzkriegen und die Propaganda führten dazu, dass vielen Schweizern (inklusive der Soldaten) Widerstand unmöglich erschien. General Guisan erkannte die Wichtigkeit der eigenen Information. Er liess den Wehrwillen der Schweiz über alle möglichen Mittel kundtun und informierte seine Offiziere genau über seine Absichten. Die erst entstehende Idee des Reduitbezuges erschwerte nun die Information, da das Vorhaben geheim ausgeführt werden musste.
Der Operationsbefehl Nr. 12, der einige Tage später auf das Schreiben an den Bundesrat erstellt wurde, ist das erste Dokument, das von der Idee des Reduits diktiert wurde. Der General musste wenigstens die Offiziere bis zum Bataillonskommandanten hinunter darüber informieren. Der Plan enthielt im Wesentlichen folgende Aussage: Auf jedes Armeekorps entfällt ein Auftrag, der an der Grenze beginnt und sein Schwergewicht im Reduit hat.
Sicherungsstaffel an der Grenze, im Mittelland mit leichten Truppen Verzögerungsaktionen, im Reduit die Sperrung der grossen Einfallspforten.
Eine wichtige Aufgabe war es, den Chefs diese Lösung einzuprägen. Der General kommandierte dazu die Offiziere am 25. Juli 1940 zum (später legendär gewordenen) «Rütlirapport» auf das Rütli. Es war wichtig, dass wenigstens die Offiziere wussten, warum sie auf einmal bezogene und ausgebaute Stellungen verlassen mussten, um neue Dispositive in den Alpen zu beziehen. Einzig die Generalstabsoffiziere blieben auf ihren Posten und wurden nicht auf das Rütli befohlen. Ein wohlkalkuliertes Risiko nahm der General auf sich, als er mit allen Offizieren mit nur einem Schiff von Luzern über den Vierwaldstätter See zum Rütli fuhr. Es sollte den Offizieren signalisieren, dass sie alle «in einem Boot sassen». «Solange ein Soldat noch Munition hat, muss er diese einsetzen, hat er keine Munition mehr, so soll er seine Waffe mit aufgesetztem Bajonett im Nahkampf Mann gegen Mann einsetzen.»
Die deutschen Militärs hielten[19] nicht viel vom Reduit-Gedanken. Er bedeute für Guisan «den Verlust der lebenswichtigen Gebiete» – eine potentielle Einladung zum Angreifen also. Der Aargauer Oberst Hans Senn dagegen sprach in der 1948 publizierten Schrift 100 Jahre Bundesverfassung von einem «mutigen Entschluss zum Rückzug» des Generals.
Mitte Juni 1940 lieferte das Deutsche Reich deutlich weniger Kohle als zuvor. Damit übte es Druck auf die Schweiz aus; sie sollte eine gewisse Rolle in der deutschen Kriegswirtschaft übernehmen. Am 9. August 1940 unterzeichnete die Schweiz ein Wirtschaftsabkommen mit dem Deutschen Reich. Die Schweiz kam Deutschland wirtschaftlich und finanziell entgegen, verweigerte aber erfolgreich politische Konzessionen: Deutschland erhielt Kredite, Devisen und Rüstungsgüter, die Schweiz im Gegenzug Kohle, Zinsen aus Anlagen in Deutschland – und Aufträge, die die Schweizer Volkswirtschaft am Laufen hielten (und die teils lukrativ waren).[20]
Im Oktober 1940 meldete die Wehrmacht Lieferwünsche für Schweizer Militärausrüstung und Kriegsmaterial an. Am 7. Februar 1941 räumte die Schweiz dem Reich einen neuen Clearing-Kredit in Höhe von 165 Mio. Schweizer Franken ein und erhielt im Gegenzug die Zusage, dass die Kohlelieferungen in unverminderter Höhe – 150'000 Tonnen pro Monat – fortgesetzt würden.[21]
Als nach dem Fall von Paris deutsche Panzerverbände das 45. französische Armeekorps in den Jura ab drängten und deren General Marius Daille den schweizerischen Bundesrat um Asyl ersuchte, was dieser am 20. Juni 1940 gewährte, übertraten rund 43'000 Soldaten bei Goumois den Doubs und wurden von der Schweizer Armee entwaffnet. In der folgenden Zeit war die Armee bis Kriegsende für die Internierung der ausländischen Militärpersonen in Lagern zuständig.
1941
In den Jahren 1941 bis 1944 kam es zu verschiedenen Kommandoordnungen. Eine an das Reduit angepasste Ordre de bataille musste die alten Ordnungen ablösen. Im Winter 1941 hatte die Schweiz fünf Armeekorps und eine Gruppe Westalpen. In dieser Zeit waren die taktischen Überlegungen wichtiger als die strategischen. Ab dem Frühling 1941 bis zum Ende des Krieges waren es dann nur noch vier Armeekorps. Die Abschnittsgrenzen der Heereseinheiten wechselten in den Jahren, aber die Aufträge blieben zum grössten Teil die gleichen.
Luftraumverletzungen und Bombardierungen
Siehe auch: Alliierte Bombenabwürfe auf die Schweiz
Die Schweizer Luftwaffe war im Zweiten Weltkrieg im Rahmen des Neutralitätsschutzes in Luftkämpfe verwickelt. So kam es 1940 während des Frankreichfeldzugs häufig zu Überflügen deutscher Kampfflugzeuge. Bei den Luftkämpfen wurden insgesamt 11 deutsche Flugzeuge bei drei eigenen Verlusten abgeschossen. Dies veranlasste Hermann Göring, Saboteure illegal in die Schweiz zu schicken, um in der Nacht vom 13./14. Juli 1940 auf verschiedenen Flugplätzen Schweizer Militärflugzeuge mit Sprengsätzen zu zerstören.[22][23] Der Schweizer Regierung wurden Sanktionen und massive Vergeltung angedroht. Darauf liess General Henri Guisan bis zum Oktober 1943 Luftkämpfe grundsätzlich verbieten.
Es wurden auch Bomber der US Army Air Forces (USAAF) abgefangen, deren Besatzungen die Orientierung verloren hatten oder sich mit der beschädigten Maschine in die Schweiz retten wollten, da sie ein Schweizer Internierungslager der Kriegsgefangenschaft in Deutschland oder Italien vorzogen.[24][25] Alarmpatrouillen der Schweizer Fliegertruppe zwangen weitere Bomber zur Landung auf Flugplätzen.
Während des Krieges wurden 6501 Grenzverletzungen gezählt, wobei 198 ausländische Flugzeuge in der Schweiz landeten. Weiter gab es auf dem Gebiet der Schweiz 56 Abstürze von ausländischen Flugzeugen. Die Schweizer Luftwaffe verlor in direkten Luftkämpfen vier Piloten und Besatzungsmitglieder. Am 4. Juni 1940 ging die Messerschmitt Bf 109 von Lt. Rickenbacher unter ungeklärten Umständen verloren. Aufgrund der Untersuchungen ging man bei diesem Absturz von einem Abschuss durch ein deutsches Flugzeug aus. Vier Tage später wurde eine C-35 über Pruntrut von mehreren Messerschmitt Bf 110 abgeschossen, wobei die Besatzung Lt. Meuli und Oblt. Gürtler ebenfalls ums Leben kam.
Einen weiteren Toten forderte am 5. September 1944 ein Aufeinandertreffen mit zwei Mustangs der USAAF, die den angeschlagenen B-17-Bomber 43-37866 («Blues in the Night», Pilot: Capt. Alvin W. Jaspers) in die Schweiz begleiteten: Die US-Piloten waren 2/Lt. Nathan Ostrow und 1/Lt. Earl E. Erickson von der 503th FS der 339th FG. Bei dem Luftkampf, bei dem die US-amerikanischen Jagdflugzeuge das Feuer ohne Vorwarnung eröffneten, starb Oblt. Paul Treu, die Bf 109 stürzte im Hürstwald bei Zürich-Affoltern ab. Sein Rottenflieger Lt. Robert Heiniger konnte sein Flugzeug trotz mehrerer Treffer und starker Verwundung auf dem Militärflugplatz Dübendorf mit Bauchlandung sicher landen.
Sporadisch kam es zu Bombardierungen von Schweizer Städten und Bahnlinien. Amerikanische Luftangriffe gab es besonders in Grenznähe wie in Le Noirmont (im Oktober 1944) und Thayngen, doch auch Städte wie Basel (speziell Güterbahnhof Wolf) oder Zürich wurden getroffen. Besonders stark getroffen wurden Schaffhausen (Altstadt, Bahnhof und Industrie bei Neuhausen) am 1. April 1944 (40 Tote) und Stein am Rhein am 22. April 1945 (neun Tote). 50 Gebäude wurden zerstört, unter ihnen mehrere kleine Fabriken, die Kugellager, Flugzeugabwehrgeschosse und Teile der Messerschmitt Bf 109 für Deutschland herstellten.[26][27][28][29] Die USA teilten der Öffentlichkeit mit, dass die Besatzungen der 38 schweren Bomber, die Schaffhausen bombardierten, annahmen, sie befänden sich über der Stadt Tuttlingen.[26]
Kriegswirtschaft
Lebensmittelrationierung vom 9. Oktober 1940 bis 24. Juni 1948
Das Hauptproblem blieb während des ganzen Kriegs die Versorgung mit lebensnotwendigen Gütern. Die Schweiz verfügt praktisch über keine eigenen Rohstoffe und muss alles importieren. Als Binnenland hat die Schweiz keinen eigenen Zugang zum Meer und musste Kohle, Kautschuk, Erz etc. durch die von den Achsenmächten besetzten Gebiete transportieren. Diese Versorgungswege waren äusserst unsicher und wären im Falle eines Kriegsausbruches unterbrochen gewesen. Der Kohleimport war in den Kriegsjahren rückläufig. Eine teilweise Kompensation lieferte die Erhöhung der Holznutzung. Auf den Weltmeeren kreuzte eine stattliche Flotte von Handelsschiffen schweizerischer Reedereien, um Rohstoffe nach Europa zu bringen. Diese wurden z. B. vom Hafen Genua per Bahn in die Schweiz transportiert.
Hauptartikel: Transit durch den Gotthard 1940–1945
3D-Tabelle der Schweizer Waffen-, Munitions- und Zünderexporte von 1940–1944 nach Ländern
Die wenigen verfügbaren ausländischen Rohstoffe wurden von Beginn des Krieges an streng rationiert und flossen vor allem in die Rüstungsindustrie. Diese expandierte im Verlauf des Krieges stark und konnte nicht nur die Schweizer Armee mit immer besserem Material ausrüsten. Besonders moderne Panzer- und Fliegerabwehrkanonen (Oerlikon) sowie Maschinengewehre wurden produziert.
Die sogenannte Anbauschlacht, auch Plan Wahlen genannt, sorgte dafür, dass es nie an Grundlebensmitteln fehlte. Dazu wurden alle verfügbaren Grünflächen, Sportplätze etc. zu Getreide- und Kartoffelfeldern umgenutzt.
Infolge des Benzin- und Gummimangels kam der damals ohnehin noch bescheidene Automobilverkehr praktisch vollständig zum Erliegen.
Weil die Schweiz keine eigenen Kohlevorräte hat, aber auch einem allgemeinen Modernisierungs-Trend folgend, war mit der Elektrifizierung des Bahnnetzes bereits 1918 begonnen worden. 1945 war praktisch das gesamte Netz elektrifiziert, und an den Flüssen sowie in den Bergen waren zahlreiche Wasserkraftwerke zur Stromgewinnung gebaut worden.
Eine erstaunliche Entwicklung verzeichneten die Bundesfinanzen. Der Historiker Erich Gruner beschrieb für die Einnahmen von 1938 auf 1944 einen Sprung von 570 Mio. Fr. auf fast 1,6 Milliarden Fr. Das ist wohl mit der Kriegs- und Rüstungskonjunktur erklärbar. Schwieriger erklärbar ist der Ausgabensprung von 605 Millionen auf fast 2,6 Milliarden (noch 1960 betrugen die Bundesausgaben genau gleich viel) und der Bundesschuld-Sprung von 2 Milliarden auf 6,7 Milliarden Fr. (1970 belief sich dieser Betrag auf «nur» 5,4 Milliarden). Sicherlich spielte auch hier der Rüstungsbedarf der Armee eine Rolle und wohl auch der Erwerbsersatz für die Armeeangehörigen.[30]
Asyl- und Flüchtlingspolitik
Die Unabhängige Expertenkommission Schweiz – Zweiter Weltkrieg (UEK) wurde am 19. Dezember 1996 vom Schweizer Bundesrat eingesetzt und kam – in ihrem Schlussbericht 2002[31] – zum Ergebnis, dass die damalige schweizerische Flüchtlingspolitik mit den Prinzipien eines Rechtsstaates nicht vereinbar war.[32] Ab 1939 gab es in der Schweiz Pressezensur.[33]
Aufnahmen – Zurückweisungen
Während des Zweiten Weltkrieges beherbergte die Schweiz – bei einer Gesamtbevölkerung von unter vier Millionen – während kürzerer oder längerer Zeit insgesamt knapp 300'000 Schutzsuchende. Darunter fallen jedoch so unterschiedliche Kategorien wie internierte Militärpersonen (104'000), temporär aufgenommene Grenzflüchtlinge (67'000), Kinder auf Erholungsurlaub (60'000), Zivilflüchtlinge (51'000, von denen 21'300 jüdischer Abstammung waren), Emigranten (10'000) und politische Flüchtlinge (250).[34] Der sogenannte «Ludwig-Bericht» von 1957 geht von 10'000 Abgewiesenen aus, die Bergier-Kommission schätzt die Zahl der abgewiesenen Flüchtlinge auf 20'000. Der weltweit bekannte Schweizer Theologe Karl Barth ging davon aus, dass die Schweiz «an die 100'000 Flüchtlinge zurückgewiesen» habe. Die «Behandlung der Aufgenommenen» sei «unwürdig» gewesen.[35] Mehrere Detailstudien[36] über die Rückweisung von Flüchtlingen im Grenzabschnitt des Kantons Genf, über den rund 40 % aller Flüchtlinge während des Krieges in die Schweiz gelangten, weisen darauf hin, dass dort rund 14 % aller Flüchtlinge zurückgewiesen wurden. Für jüdische Flüchtlinge betrug dieser Wert rund 8 %. Die aus den Genfer Daten errechnete Gesamtzahl der durch die Schweiz zurückgewiesenen Flüchtlinge beträgt rund 3500.[37] Für 117 zurückgewiesene jüdische Flüchtlinge kann eine darauffolgende Deportierung oder Erschiessung durch die Nationalsozialisten direkt nachgewiesen werden.[38] Die effektive Zahl wird nie ermittelt werden können, da viele Abweisungen und Rückschiebungen direkt an der Grenze informell stattfanden und nicht protokolliert wurden.
Grenzschliessung am 13. August 1942
Für die schweizerische Flüchtlingspolitik waren zwei Jahre von zentraler Bedeutung: 1938 weigerten sich auf der Konferenz von Évian alle Zweitaufnahme-Staaten, künftig einen Teil der von der Schweiz aufgenommenen Flüchtlinge zu übernehmen. 1938 war die Schweiz an der Kennzeichnung der Pässe deutscher Juden durch den «J»-Stempel beteiligt. Der Schweizer Bundesrat wurde bereits im Jahr 1941 durch eindringliche Rapporte und Fotozeugnisse von Gesandten auf das schreckliche Vorgehen gegen die Juden aufmerksam gemacht, u. a. durch Franz-Rudolf von Weiss (Konsul in Köln).[39] Ende Juli 1942 wurde Bundesrat von Steiger ein ausführlicher Bericht vorgelegt, in dem Robert Jetzler (Chef der Polizeiabteilung des Justizdepartements) schrieb: «Die Zustände sind so schrecklich, dass man eine Rückweisung kaum mehr verantworten kann.»[39] Im August 1942 schloss sie die Grenze für Flüchtlinge «nur aus Rasse-Gründen», nachdem die Organisation der «Endlösung der Judenfrage» im Januar 1942 auf der Wannsee-Konferenz beschlossen worden war. Zu dieser Zeit kamen die Flüchtlinge fast nur noch über die genferisch-jurassische Grenze, wo dem Bundesbeschluss (vom Bundesrat verabschiedet und nach Vollzugsbeginn von einer Parlamentsmehrheit bestätigt) kaum Folge geleistet wurde. Eine Studie des Genfer Staatsarchivs aus dem Jahre 2000 ermittelte, dass in Genf 86 % der «illegalen» Flüchtlinge und 92 % der Flüchtlinge jüdischen Glaubens trotzdem aufgenommen wurden. Die Schweiz war 1942 ausser an der Südwestgrenze von den Achsenmächten umschlossen, und die Versorgungslage war angespannt. Der Bundesrat, das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement und die Spitzen der Armee wussten im Sommer 1942, dass den zurückgewiesenen Flüchtlingen die Deportation nach Osteuropa und damit der Tod drohte. Der Schweizerische Israelitische Gemeindebund, die Hilfswerke, Teile der Bevölkerung und der sozialdemokratische Nationalrat David Farbstein protestierten vehement gegen die Grenzschliessung.[40]
Bestrafung von Fluchthelfern
Schweizer, welche gegen die damaligen Gesetze Fluchthilfe leisteten, wurden bestraft und erst viel später rehabilitiert: Carl Lutz rettete als Schweizer Vizekonsul in Budapest über 60'000 Menschen – rund die Hälfte aller überlebenden ungarischen Juden – vor den nationalsozialistischen Vernichtungsaktionen durch illegale Ausstellung von Papieren, die ihnen die Ausreise nach Palästina ermöglichten. Nachdem 1995 das Urteil gegen den 23 Jahre vorher verstorbenen Paul Grüninger, der als Polizeihauptmann in St. Gallen 1940 wegen «Amtspflichtverletzung» verurteilt wurde, aufgehoben worden war, erliess das Schweizer Parlament ein eigenes Rehabilitationsgesetz für Fluchthelfer aus der NS-Zeit. Seither sind mehr als fünfzig verurteilte Passeure aus der Zeit zwischen 1933 und 1945 rehabilitiert worden. Allerdings erlebten laut den Recherchen der Wochenzeitung WoZ nur zwei von ihnen ihre Rehabilitierung.
Freikauf von KZ-Häftlingen
In den letzten Monaten des Krieges gelangten aber durch Bemühungen diverser Kreise – zum Teil im Austausch gegen deutsche Kriegsgefangene oder auch gegen Bezahlung – insgesamt gut 4300 KZ-Häftlinge aus Theresienstadt, Bergen-Belsen, Ravensbrück und Mauthausen in die Schweiz.[41]
Abgewiesene Flüchtlinge
Nicht rehabilitiert wurden ehemalige Flüchtlinge, die sich lange nach dem Krieg bei der Schweizer Regierung meldeten: Am 21. Januar 2000 wies das Schweizerische Bundesgericht eine Klage von Joseph Spring aus Melbourne (Australien) ab, der vom Schweizerischen Bundesrat eine Schuldanerkennung und eine symbolische Wiedergutmachung verlangt hatte. Joseph Spring war im November 1943 von Schweizer Grenzwächtern als Gefangener ins Deutsche Reich ausgeschafft worden. Der Deutsche Spring war damals 16 Jahre alt und hatte, als Jude verfolgt, die Schweizer Grenze illegal überquert. Joseph Spring (der damals noch Sprung hiess) überlebte Auschwitz, seine zwei Cousins, die mit ihm an die Deutschen ausgeliefert wurden, wurden bei ihrer Ankunft in Auschwitz vergast.[42]
Internierung fremder Militärpersonen
Ab Juni 1940 waren in der Schweiz bis Kriegsende mehr als 100'000 fremde Militärpersonen aus Ländern aller Kriegsparteien interniert. Sie wurden in Internierungslagern untergebracht. Das grösste dieser Lager war das Internierungslager Büren an der Aare. Die Internierten leisteten während der Zeit ihrer Internierung Arbeitseinsätze in der Landwirtschaft, im Baugewerbe oder im Strassenbau. Die Bevölkerung nahm die Internierten in der Regel wohlwollend auf. Insbesondere die internierten Polen wurden freundlich empfangen und noch heute wird an sie erinnert. Es ist aber zu betonen, dass die Schweizer Behörden den Kontakt zwischen Internierten und Zivilbevölkerung möglichst zu minimieren versuchten.
Teilweise wurden auch Zivilpersonen interniert.
Die Schweiz als Devisenumschlagplatz
Deutschland, bzw. die Deutsche Reichsbank, konnte ca. 75 Prozent ihrer ins Ausland gehenden Goldtransaktionen (Deviseneintausch) über das Schweizer Bankensystem abwickeln, das der wichtigste Umschlagplatz für Gold aus dem Machtbereich des Dritten Reichs wurde.[43] Diese gingen meistens an Portugal für wichtige Kriegsressourcen. Der Ankauf von Gold war für die Schweiz ihrerseits wichtig, um die Wirtschaftliche Landesversorgung zu sichern und um die Inflation gering zu halten. Dazu verkauften die Alliierten der Schweizerischen Nationalbank noch eine deutlich grössere Menge Gold als die Achsenmächte,[44] dabei entfiel der grösste Teil jedoch auf die Umwandlung von Schweizer Dollarguthaben in Gold.[45] Ein grosser Teil des deutschen Goldes war jedoch illegales Raubgold aus den deutschen Kriegszügen, insbesondere aus der Belgischen Nationalbank und der niederländischen Zentralbank, oder war gemäss Bergier-Kommission den Holocaust-Opfern abgenommen worden. Ersteres war der Leitung der Schweizerischen Nationalbank spätestens seit 1942 bekannt, letzteres hielt sie seit Dezember 1943 für möglich.[44][46] Bereits in der zweiten Jahreshälfte 1940 erhielt die SNB die ersten Hinweise, dass in den besetzten Ländern nicht nur bei Zentralbanken, sondern auch von Privatpersonen Gold eingezogen wurde[47], und im August 1942 liess ein in der NZZ erschienener Artikel keine Fragen über die Herkunft des Reichsbankgoldes mehr offen.[48] Die Warnungen der Alliierten ab Anfang 1943 bezüglich der Raub- und Plünderungswirtschaft der Nazis führten keineswegs zur Einstellung der Geschäftsbeziehung, vielmehr wurde bis April 1945 Gold angekauft.[45]
Exkurs: Schweizer Freiwillige in der Waffen-SS
Siehe auch: Ausländische Freiwillige der Waffen-SS
Vereinzelt traten Schweizer der Waffen-SS bei (1000 Freiwillige).[49]
Geistige Landesverteidigung
? Hauptartikel: Geistige Landesverteidigung
Die sogenannte «Geistige Landesverteidigung» war eine besonders während des Zweiten Weltkriegs bedeutende Bewegung, die vor allem auf kulturvermittelndem Weg versuchte, die Moral der Schweizer Bevölkerung hochzuhalten. Ziel dieser vom Bundesrat und wichtigen Persönlichkeiten sowie der Presse getragenen Kampagne war es, den Widerstandswillen gegen die totalitären Regimes (besonders desjenigen von Nazi-Deutschland) aufrechtzuerhalten. Die Geistige Landesverteidigung war damit eine Art Gegenpol zur Propagandamaschinerie der Nationalsozialisten.
Aufarbeitung nach dem Zweiten Weltkrieg
Aussenpolitisch
Die Schweiz war nach dem Sieg der Alliierten aussenpolitisch isoliert. Die Siegermächte betrachteten die Schweizer als «Kriegsgewinnler», die mit den Nazis kooperiert hatten. Mit dem Abkommen von Washington willigte die Schweiz 1946 ein, den USA 250 Mio. Fr. zu zahlen, dafür wurden Schweizer Konten entsperrt und die «Schwarze Liste», auf der Schweizer Unternehmen standen, die mit den Nazis kooperiert hatten, gelöscht.
Bundesrat
Bundesrat Marcel Pilet-Golaz (FDP), der sich zu wiederholten Malen sehr anpasserisch gegenüber Nazi-Deutschland verhielt, musste auf politischen Druck hin zurücktreten. Es gab aber zwei weitere Bundesräte, deren Deutsch- resp. Faschismusfreundlichkeit offen bekannt war: Eduard von Steiger (BGB, die heutige SVP), Hauptverantwortlicher für die Grenzschliessung gegenüber den Juden, sowie Philipp Etter (katholisch-konservativ, die heutige CVP), der sich nach der Machtergreifung Hitlers und kurz vor seiner Wahl in den Bundesrat scharf z. B. gegen die direkte Demokratie geäussert hatte.
Wirtschaft
Die Wirtschaft profitierte nach dem Krieg stark davon, dass die Schweiz als eines der wenigen westeuropäischen Länder im Krieg nur geringe materielle Zerstörungen erleiden musste. Die Bankenbranche erhielt den Ruf, stabil, seriös, diskret und sicher zu sein. Dies führte, insbesondere wegen des Bankgeheimnisses, auch dazu, dass viele Gelder in der Schweiz angelegt wurden.
Humanitäre Hilfe für Nachkriegseuropa
Die Schweizer Bevölkerung half durch die Schweizer Spende der notleidenden Bevölkerung im Nachkriegseuropa. Notleidende österreichische und deutsche Kinder wurden nach dem Zweiten Weltkrieg von Schweizer Gasteltern als Schweizer Kinder eingeladen.
Historische Aufarbeitung
Nachdem der Historiker Edgar Bonjour noch 1948 in der Publikation 100 Jahre Bundesverfassung undifferenziert festgestellt hatte, die Schweiz habe Flüchtlingen «im Rahmen allgemeiner völkerrechtlicher Normen» Asyl gewährt, erhielt er 1962 vom Bundesrat den Auftrag zur historischen Betrachtung der Neutralitätspolitik, welcher zum neunbändigen Bonjour-Bericht führte.
In den 1990er Jahren wurde die Flüchtlings- und Wirtschaftspolitik mit dem Verfassen des Bergier-Berichts aufgearbeitet. Der Bericht wurde nach dem Lausanner Wirtschaftshistoriker Jean-François Bergier benannt, der die «Unabhängige Expertenkommission Schweiz – Zweiter Weltkrieg» (UEK) leitete. Die Kommission wird daher auch als «Bergier-Kommission» bezeichnet. Sie wurde von der Schweizer Bundesversammlung am 12. Dezember 1996 eingesetzt, um die Wirtschafts- und Flüchtlingspolitik der Schweiz sowie das Verhalten der Schweizer Industrie-Unternehmen und Banken vor, während und nach dem Zweiten Weltkrieg genauer zu untersuchen. Anlass waren Vorwürfe insbesondere des Jüdischen Weltkongresses, aber auch des US-Aussenministeriums gegen die Schweiz. Die Vorwürfe zielten gegen die Handhabung der namenlosen Konten, die Flüchtlingspolitik und die wirtschaftlichen Beziehungen zu Deutschland.
Die Ergebnisse der UEK sind in mehreren Publikationen veröffentlicht worden (siehe Literatur ? Bergier-Bericht). Der Bericht war Bestandteil des Verfahrens um jüdische Vermögen bei Schweizer Banken. Die Ergebnisse der UEK sind bis heute politisch umstritten. Insbesondere bürgerliche Kreise werfen dem Bericht Einseitigkeit vor (siehe Literatur ? «Kritische Stimmen»). Eine wissenschaftliche Debatte steht jedoch noch aus.[50]
Der Lehrmittelverlag des Kantons Zürich gab 2006 ein Geschichtsbuch für die Sekundarstufen I und II heraus, das unter dem Titel Hinschauen und nachfragen die Arbeit und die Ergebnisse der Bergier-Kommission behandelt.[51] Bei Kritikern des Bergier-Berichtes stiess auch diese Publikation auf scharfen Widerstand: Der Bergier-Kritiker Luzi Stamm warf dem Lehrbuch denselben «selbstanklägerischen Grundton» vor, den der Bergier-Bericht gehabt habe, ausserdem mache ein verfehltes Geschichtsbild das Buch noch schlimmer als den Bergier-Bericht selbst. In der Debatte um das Schulbuch wurden auch Konflikte innerhalb des fünfköpfigen wissenschaftlichen Beirates des Buches öffentlich, in dem der konservative Politiker Franz Muheim das Lehrmittel als «völlig ungeniessbar für den Schulunterricht» bezeichnete, die Historiker Jakob Tanner und Carlo Moos das Buch dagegen verteidigten.
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